Das Bundesgesetz über Barrierefreiheitsanforderungen für Produkte und Dienstleistungen (Barrierefreiheitsgesetz – BaFG) tritt demnächst in Kraft, genauer gesagt am 28. Juni 2025. Neben den vielen positiven Aspekten der Inklusion und verbesserten Nutzererfahrung, die wir als Barrierefrei.at-Plattform sehr begrüßen, darf man nicht vergessen, dass die Umstellung zunächst einmal einen Mehraufwand für viele Unternehmen verursacht.
Zur Erinnerung: Mit dem Gesetz werden private Wirtschaftsakteure verpflichtet, Barrierefreiheitsanforderungen einzuhalten, wenn ihre Produkte oder Dienstleistungen unter das BaFG fallen. Denn das BaFG führt abschließend an, welche Produkte und Dienstleistungen in seinen Anwendungsbereich fallen. Betroffen sind vor allem Websites, Online-Shops, Apps und sonstige digitale Anwendungen im elektronischen Geschäftsverkehr. Die genauen Barrierefreiheitsanforderungen finden sich in der Anlage 1 zum BaFG (https://ris.bka.gv.at/eli/bgbl/I/2023/76).
Folgende Produkte und Dienstleistungen fallen gemäß § 2 BaFG unter das Gesetz:
Produkte, die nach dem 28. Juni 2025 in Verkehr gebracht wurden, also erstmals auf dem EU-Markt bereitgestellt werden:
- Hardwaresysteme und für diese Hardwaresysteme bestimmte Betriebssysteme für Universalrechner für Verbraucher und Verbraucherinnen (z.B. PC, Betriebssysteme wie Windows)
- Zahlungsterminals
- Folgende Selbstbedienungsterminals, die zur Erbringung der unten angeführten erfassten Dienstleistungen bestimmt sind: Geldautomaten, Fahrkartenautomaten, Check-in-Automaten
- Verbraucherendgeräte mit interaktivem Leistungsumfang, die für elektronische Kommunikationsdienste verwendet werden (z.B. Smartphone)
- Verbraucherendgeräte mit interaktivem Leistungsumfang, die für den Zugang zu audiovisuellen Mediendiensten verwendet werden (z.B. Fernseher)
- E-Book-Lesegeräte
Dienstleistungen, sofern sie nach dem 28. Juni 2025 gegenüber Verbrauchern erbracht werden:
- elektronische Kommunikationsdienste mit Ausnahme von Notrufen und Übertragungsdiensten zur Bereitstellung von Diensten der Maschine-Maschine-Kommunikation (z.B. Messenger wie WhatsApp)
- Dienste, die den Zugang zu audiovisuellen Mediendiensten ermöglichen (z.B. Websites und Apps)
- Bankdienstleistungen (z.B. Überweisungen, Kreditgeschäft)
- E-Books und hierfür bestimmte Software
- Dienstleistungen im elektronischen Geschäftsverkehr (erfasst streng genommen sämtliche Online-Shops und Websites, sofern die Dienstleistung von einem Unternehmer gegenüber einem Verbraucher erbracht wird)
- Luft-, Bus-, Schienen- und Schiffsverkehrsunternehmen, das Websites, Apps oder elektronische Tickets anbietet mit Ausnahme von Stadt-, Vorort-, Regionalverkehrsdienste (für letztere sind interaktive Selbstbedienungsterminals ausreichend)
Folgende Websites und Apps sind ausgenommen:
- aufgezeichnete zeitbasierte Medien, die vor dem 28. Juni 2025 veröffentlicht wurden;
- Dateiformate von Büro-Anwendungen, die vor dem 28. Juni 2025 veröffentlicht wurden;
- Online-Karten und Kartendienste, sofern bei Karten für Navigationszwecke wesentliche Informationen barrierefrei zugänglich in digitaler Form bereitgestellt werden;
- Inhalte von Dritten, die von dem betreffenden Wirtschaftsakteur weder finanziert oder entwickelt werden noch deren Kontrolle unterliegen;
- Inhalte von Websites und mobilen Anwendungen, die als Archive gelten und dadurch ihre Inhalte nach dem 28. Juni 2025 weder aktualisiert noch überarbeitet werden.
Des Weiteren sind Kleinstunternehmen von den Barrierefreiheitsanforderungen für Dienstleistungen ausgenommen. Hierbei handelt es sich um Unternehmen, die
- weniger als 10 Personen beschäftigen und
- entweder einen Jahresumsatz von höchstens 2 Millionen Euro erzielen oder deren Jahresbilanzsumme sich auf höchstens 2 Millionen Euro beläuft.
Hier ist jedoch Vorsicht geboten: Diese Ausnahme für Kleinstunternehmen gilt nur im Bereich der Dienstleistungen, nicht aber für den Bereich der erfassten Produkte. Wenn das konkrete Kleinstunternehmen Produkte im Sinne des § 2 BaFG in Verkehr bringt, hat es die Barrierefreiheitsanforderungen für diese Produkte zu erfüllen.
Außerdem gelten die Barrierefreiheitsanforderungen nur insoweit, als deren Einhaltung keine wesentliche Änderung eines Produktes oder einer Dienstleistung erfordert. Eine wesentliche Änderung liegt bei einer grundlegenden Veränderung der Wesensmerkmale des Produktes oder der Dienstleistungen vor. Zusätzlich gelten die Barrierefreiheitsanforderungen nur insoweit, als deren Einhaltung zu keiner unverhältnismäßigen Belastung für den Wirtschaftsakteur führt. Eine solche unverhältnismäßige Belastung kann sich beispielsweise aus einem übermäßigen finanziellen Mehraufwand ergeben, der aus den Umstellungsmaßnahmen hervorgeht. Sowohl bei einer grundlegenden Veränderung des Produktes oder der Dienstleistung als auch bei einer unverhältnismäßigen Belastung für den Wirtschaftsakteuer besteht eine Dokumentationspflicht: Der Wirtschaftsakteuer hat eine Beurteilung vorzunehmen, in der er ausführt, warum ihm die Einhaltung der Barrierefreiheitsforderungen nicht möglich ist. Diese Dokumentationspflicht besteht nicht für Kleinstunternehmen, welche nur auf Verlangen des Sozialministeriumsservice eine derartige Auskunft zu erteilen haben.
Welche Unternehmen werden hier nun dezidiert in die Pflicht genommen? Auch wenn es zu begrüßen wäre, dass möglichst viele Unternehmen die gesetzliche Regelung zum Anlass nehmen, ihre Webprodukte barrierefrei zu gestalten, so betrifft das BaFG nur einen Teil aller Unternehmen.
Und genau darin liegt die Herausforderung. Eine Anlaufstelle zu diesem Thema wird im Sozialministerium erst im Laufe des Jahres eingerichtet. Auf der Website der WKO findet sich ein einleuchtendes Beispiel für die Komplexität des Anwendungsbereiches des BaFG: Ein Fußpflege-Unternehmen, das zwar keine digitalen Produkte im engeren Sinn anbietet, aber ein Terminbuchungstool bereitstellt, fällt unter das BaFG, weil es Dienstleistungen im elektronischen Geschäftsverkehr gegenüber Verbrauchern erbringt. Die Abgrenzungen sind also nicht immer offensichtlich (Quelle WKO: Informationen zum Barrierefreiheitsgesetz).
Fest steht: Unternehmen, die unter das BaFG fallen, müssen bis Juni 2025 ihre digitalen Produkte und Dienstleistungen barrierefrei anbieten. Bei Verstößen gegen die die Barrierefreiheitsanforderungen kann das Sozialministeriumservice Geldstrafen von bis zu 80.000 € verhängen. Bei einer erstmaligen oder geringfügigen Übertretung soll jedoch möglichst nach dem Grundsatz „Beraten vor strafen“ vorgegangen werden. Die Uhr tickt und die Umsetzungszeit wird oft unterschätzt. Wir wissen aus Erfahrung, dass je nach Projektgröße und Unternehmenskultur Durchlaufzeiten von einem Jahr und mehr nicht ungewöhnlich sind.
Wir als abss interactive beschäftigen uns mit dem Thema Barrierefreiheit – nicht nur, weil es uns als Umsetzer digitaler Produkte betrifft, sondern auch, weil uns das Thema am Herzen liegt. Deswegen haben wir das Projekt barrierefrei.at ins Leben gerufen.
Wird das BaFG auch für Ihr Unternehmen schlagend? Oder ist Ihre Website oder App sogar schon barrierefrei gestaltet? Lassen Sie es uns wissen. Wir freuen uns über Ihre Nachricht.